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Örtliche Zuständigkeit der Widerspruchsklage im eurointernationalen Verhältnis / Widerspruchsklage betreffend mit Sicherstellungsverfügung verarrestiertem Drittvermögen für Steuerforderung gilt als Steuersache im eurointernationalen Verhältnis

Örtliche Zuständigkeit der Widerspruchsklage im eurointernationalen Verhältnis / Widerspruchsklage betreffend mit Sicherstellungsverfügung verarrestiertem Drittvermögen für Steuerforderung gilt als Steuersache im eurointernationalen Verhältnis

Kommentierung
Arrest
Internationale Bezüge

Örtliche Zuständigkeit der Widerspruchsklage im eurointernationalen Verhältnis / Widerspruchsklage betreffend mit Sicherstellungsverfügung verarrestiertem Drittvermögen für Steuerforderung gilt als Steuersache im eurointernationalen Verhältnis

5A_53/2020 vom 13.07.2021

I. Sachverhalt

Die Schweizerische Eidgenossenschaft, der Kanton Tessin sowie die Gemeinden Lugano, Melano und Paradiso erliessen Sicherstellungsverfügungen gemäss Art. 169 f. DBG und Art. 78 StHG i.V.m. Art. 248 LT/TI für gegenüber dem wirtschaftlich Berechtigten und Direktor geltend gemachten Steuer­forderungen. Mit der Begründung eines sog. umgekehrten Durchgriffs liessen die Schweizerische Eidgenossenschaft, der Kanton Tessin sowie die Gemeinden Lugano, Melano und Paradiso die bei einer Schweizer Bank belegenen Guthaben der Beschwerdeführerin (A) mit Sitz in Nikosia (Zypern) durch das Betreibungsamt Zürich 1 verarrestieren. In der Arresturkunde wurde die Drittansprache der Beschwerdeführerin (A) vermerkt und der Schweizerischen Eidgenossenschaft, dem Kanton Tessin sowie den Gemeinden Lugano, Melano und Paradiso Frist zur Klage gemäss Art. 108 SchKG angesetzt. Nach zwischenzeitlichem Rückzug der Steuerarreste und dem Erlass neuer auf die Sicherstellungs­verfügungen sich stützenden Arrestbefehle wurde der Schweizerischen Eidgenossenschaft, dem Kanton Tessin sowie den Gemeinden Lugano, Melano und Paradiso erneut Frist zur Widerspruchsklage angesetzt, woraufhin Widerspruchsklage beim Bezirksgericht Zürich erhoben wurde. Mit Zwischen­entscheid trat das Bezirksgericht auf die Klage ein, wogegen die Beschwerdeführerin (A) Berufung beim Obergericht erhob, welches diese abwies und den Zuständigkeitsentscheid des Bezirksgerichts Zürich bestätigte.

Abweisung der Beschwerde.

II. Kernaussagen der Entscheidung

1. Örtliche Zuständigkeit für die Widerspruchsklage gegen den Dritteigentümer im euro­internationalen Verhältnis richtet sich nach Art. 22 Ziff. 5 LugÜ i.V.m. Art. 109 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG

Zunächst hält das Bundesgericht fest, dass es sich bei der Widerspruchsklage um eine betreibungsrechtliche Streitigkeit mit Reflexwirkung auf das materielle Recht handelt (E. 3.5.1.). Sodann weist das Bundesgericht darauf hin, dass die Meinungen darüber, ob die Widerspruchsklage «vollstreckungsrechtlich» i.S.v. Art. 22 Ziff. 5 LugÜ oder Klage mit mittelbarem Bezug zum Vollstreckungsverfahren aufzufassen sei, geteilt seien (E. 3.5.3.). Es gelangte zum Schluss, dass es sich beim Widerspruchsprozess um einen Bestandteil des Vollstreckungsverfahrens handle, dessen Gegenstand einzig die Abklärung sei, ob ein Gegenstand in die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner einbezogen werden könne oder nicht. Deshalb werde der enge Konnex zum Voll­streckungsverfahren nicht deshalb aufgehoben, weil der Gegenstand sich im Gewahrsam des Dritten befände und seine Berechtigung daran wahrscheinlicher sei als jene des Schuldners. Der Grund dafür, dass eine Widerspruchsklage gegen einen im Ausland domizilierten Dritten erhoben werden könne, liege darin, dass dieser über Vermögenswerte der Schweiz verfüge. Somit ermögliche es erst die Belegenheit des Vermögenswertes in der Schweiz den Vollstreckungsbeschlag, wodurch der vollstreckungsrechtliche Bezug genügend gewahrt sei (E. 3.6.1.). Deshalb könne aber bloss der Schweizer Richter zur Beurteilung der Widerspruchsklage zuständig sein. Dies, zumal eine Vollstreckung in inländisches Vermögen lediglich von schweizerischen Behörden vollzogen werden könne (E. 3.6.2.). Vor diesem Hintergrund richte sich die örtliche Zuständigkeit nach Art. 22 Ziff. 5 LugÜ i.V.m. Art. 109 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG.

2. Widerspruchsklage betreffend mit Sicherstellungsverfügung verarrestiertem Drittvermögen für Steuerforderung gilt als Steuersache i.S.v. Art. 1 Ziff. 1 LugÜ

Im Sinne einer Eventualbegründung hielt das Bundesgericht ferner fest, dass für den Fall, dass eine Sicherstellungsverfügung gemäss Art. 169 f. DBG und Art. 78 StHG gestützt auf welche eine noch nicht rechtskräftig festgestellte Steuerforderung gegen den im Ausland wohnhaften Steuerpflichtigen sichergestellt werden soll eine öffentlichrechtliche bzw. steuerrechtliche Entscheidung darstelle, die als Steuersache nicht in den Anwendungsbereich des LugÜ falle. Bei dieser Sichtweise würden die Rechtsbeziehungen zwischen der Beschwerdeführerin (A) und der Schweizerischen Eidge­nossenschaft, dem Kanton Tessin sowie den Gemeinden Lugano, Melano und Paradiso in erster Linie von der Vollstreckung des Schweizerischen Steuerrechts erfasst, weswegen es sich nicht um eine «Zivil- und Handelssache», sondern um eine ausserhalb des sachlichen Anwendungsbereichs des LugÜ liegende «Steuersache» handle.

III. Fazit

Das Urteil des Bundesgerichts beantwortet die in der Lehre umstrittene Frage der örtlichen Zuständigkeit im eurointernationalen Verhältnis für den Fall, dass sich der Dritte und der Gläubiger gegenüberstehen. Dabei qualifiziert das Bundesgericht die Widerspruchsklage unabhängig davon, ob der Dritte den besseren Rechtsschein an den mit Beschlag belegten Vermögenswerten in Anspruch nehmen kann als vollstreckungsrechtlich i.S.v. Art. 22 Ziff. 5 LugÜ, womit die Widerspruchsklage als betreibungsrechtliche Klage mit Reflexwirkung auf das materielle Recht in jedem Fall vom Schweizer Richter zu beurteilen ist. Ferner äussert sich das Bundesgericht aber auch zur Frage, ob die Widerspruchsklage, mit welcher letztlich eine Sicherstellungsverfügung zwangsvollstreckt werden soll, überhaupt unter den sachlichen Anwendungsbereich des LugÜ fällt oder nicht. Dabei gelangt es zum Schluss, dass eine solche Widerspruchsklage nicht als «Zivil- und Handelssache», sondern als «Steuersache» zu qualifizieren ist und demnach ausserhalb vom sachlichen Anwendungsbereich des LugÜ liegt (Art. 1 Ziff. 1 LugÜ).

iusNet SchKG 27.01.2022